Der Notenständer

Wer kennt sie nicht die wirklich schöne
und immer gern geseh’ne Szene,
wie da ein Mensch in seinem Streben,
dem Sonnenbad sich zu ergeben
bei eines Liegestuhls Entfaltung
verliert die wohlerzog’ne Haltung
und sich, wie er sich müht und plagt,
doch im Gestell total verhakt.
Er wird belacht. Man denkt bei sich:
„Der kann es nicht, wohl aber ich.“

Am Abend dann, Quartett zu spielen,
geht man mit heiteren Gefühlen
zu Freunden hin, packt aus die Flöten,
das Krummhorn und die andern Tröten,*
lässt sich dann auf dem Stuhle nieder
und hört im Geist schon erste Lieder.
Jedoch noch vor dem ersten Ton
da wartet voller Sehnsucht schon
der Notenständer – welche Pein –
und will nun aufgeschlagen sein,
denn was nützt uns ein Instrument,
wenn man die Noten nicht erkennt?
Sieh da! Er steht auf dürren Beinen,
die Sache will uns leicht erscheinen.
Doch soll man nichts zu frühe loben,
denn nun geht’s weiter und zwar oben.
Die Ärmchen – zweie kurz, zwei lang,
zwei rauf, zwei runter – uns wird bang.

Sie klemmen und sind leicht verbogen,
die Flügelschraube auch verzogen.
Man biegt und zerrt, er zeigt sich fair,
darum jetzt schnell die Noten her.
Doch sind ihm die zu unbequem,
schnell schafft er neu drum ein Problem,
denn ihr Gewicht macht ihm viel Mühe.
Er übt Spagat, geht in die Knie.
Die Zange her! Wenngleich er murrt,
wird grob die Schraube festgezurrt.

Erleichtert greift man nach der Flöte.
Doch denkste! Noten bringen Nöte,
und diese haben, ach!, drei Seiten,
die links und rechts dem Blick entgleiten.
Was hilft’s, den Ständer zu bedrängen,
er lässt nur schlapp die Stützen hängen,
die ausgeleiert sind.   Geduld!!
Denn wir sind schließlich selbst dran schuld,
dass er erlebte unser Glück
in vielen Stunden voll Musik.
Drum liebt den Ständer stets in Treuen
und denkt nur heimlich an ’nen neuen.

Und die Moral von der Geschicht?:
Ein Musikant, er lache nicht,
sieht er sich an die wirklich schöne
und immer gern geseh’ne Szene,
wie da ein Mensch . . .

* „Tröten“ nennen wir häufig respektlos unsere Krummhörner und Cornamusen mitsamt all ihren zahlreichen Verwandten, genannt Windkapsel- oder Rohrblattinstrumente, bei deren erstem Ton unerfahrene Hörer oft zusammenzucken oder in Gelächter ausbrechen.